26. Swissalpine K42
Davos 30.07.2011
Um 9.48 fährt der Zug nach Bergün.
Er ist extra für die Läufer der 2. Startgruppe des K42. Die erste Startgruppe war eine Stunde früher dran. Die Einteilung in Startgruppen soll einem größeren Stau auf der Strecke vorbeugen. Die eigentlichen Helden der Berge sind aber die Läufer des K78, die wie der Name schon sagt, 78 km laufen. Die sind bereits um 7 Uhr in Davos gestartet. Von dort ging es ebenfalls nach Bergün, aber halt zu Fuß. Ab Bergün laufen die Strecken zusammen. Das bedeutet, dass über 2000 Läufer auf der folgenden Strecke unterwegs sind.Bereits auf der Fahrt sehen wir vom Zug aus die K78 Läufer. Sie müssen im Ort Wiesen die Bahnstrecke überqueren und dann über das Wiesen-Viadukt, einer schmalen Eisenbahnbrücke, die mit einem Fußgängersteg versehen ist. Ich schau mir das vom Abteilfenster aus genauer an; schließlich möchten wir auch mal den K78 laufen: die Brücke ist nicht so lang, wie ich es mir vorgestellt hatte. Der Weg ist aber so schmal, dass ich mit meiner Brückenangst vor einem Problem stehe. Naja – ich hab ja noch Zeit Brücken zu üben.
In Bergün angekommen, machen wir uns auf den Weg zu unserem Start. Die Laufstrecke der K78er führt direkt durch den Ort. Die Hauptstraße ist gesperrt. Einzelne Läufer sind auf der Strecke. Viele Zuschauer säumen die Straße und bejubeln die Sportler. Etwas abseits gibt es Dixies, und die Möglichkeit zum Nachmelden für unseren Lauf. Die Stimmung ist gespannt. Jeden scheint die eine Frage zu bewegen: „Was ziehe ich an?“ Bei uns beiden hat diese Frage jedenfalls schon zu heftigen Diskussionen geführt. Norbert, der gerne friert, war von Anfang an für lange Hose und Jacke. Mir ist oft zu heiß. Bei einer kleinen Wanderung am Vortag war für kurze Zeit die Sonne aufgetaucht. Ich hab mich deshalb für kurze Hose und Winterjacke entschieden. Diese Kombi hat sich schon in Ulm bewährt. In den Durchsagen heißt es 8 °C und Nordwind an der Keschhütte, unserem ersten Etappenziel.
Der Start ist etwas außerhalb bei der Sägerei. Ich schätze ca. 500 Starter.
Punkt 11.30 geht es los, bergauf. In kürzester Zeit bin ich außer Atem. Die Strecke des K78 kommt von rechts. Ich höre Ultras leise fluchen. Natürlich können die jetzt nur“ mitschwimmen“. Nach ein paar hundert Metern trennt sich die Strecke aber wieder, die Läufer der langen Strecke haben hier am Werkhof eine Verpflegungsstation, und wir laufen direkt Richtung Bergün. Es geht jetzt auch durch den Ort, und wir erkennen die Stellen, an denen wir vor kurzem die Läufer angefeuert haben. Ein Sprecher nennt einige der Vorbeikommenden beim Namen.Ich merke, dass ich zu schnell bin. Solche Steigungen bin ich ja nicht gewöhnt. Es hat auch keinen Sinn, hier am Anfang zu viel Kraft liegen zu lassen. Norbert, der bis jetzt wieder mit mir zusammen gelaufen ist, verabschiedet sich.
Wir folgen einer breiten Straße. Steilere Stellen wechseln mit flacheren Passagen. Das Feld zieht sich weit auseinander. Die meisten machen es wie ich: gehen, wenn`s zu steil ist, laufen wenn`s geht. Die Stimmung ist super, wir gehen frohen Mutes dem Abenteuer entgegen.
Die erste Verpflegungsstation ist bei km 5,3. Es ist tatsächlich schon recht warm. Meine Jacke hab ich ausgezogen und um den Bauch gebunden. Ich kühle meinen Kopf an dem Brunnen in dem Schwämme schwimmen und trinke einen Becher Wasser.
Die Laufstrecke verlässt die Straße. Ein steiles Stück geht es den Berg hinauf. Dann erreichen wir nochmal die Straße. Die Landschaft ist wunderschön. Am Wegrand grast eine Kuhherde. Ein imposanter Bulle ruht. Von dem muss ich aber schnell ein Bild machen. Und natürlich auch noch vom Tal in Laufrichtung und vom Tal nach hinten. Huch – da zieht mich einer am Ärmel. Vorsicht! Fast wäre ich über eine Rinne, die quer zur Straße verläuft, gestolpert. Ich bedanke mich. „Da, wo wir hingehen, muss jeder auf den anderen achten“ sagt Stefan und meint das wirklich ernst. Und er hat recht. Ich bin beeindruckt.Bis Chants, dort ist die nächste Verpflegungsstation bei km 10, unterhalten wir uns angeregt. Leider verlieren wir uns jetzt aus den Augen.
Nach der Brücke am Ortsausgang wird es nun schmaler und steiler. Der Weg führt romantisch in Serpentinen durch den Wald bergauf. 1,5 km weiter aber auch 200 Meter höher kommt schon wieder eine Getränkestation.Ich ziehe meine Jacke an, denn es ist merklich kühler geworden. Nach einer scharfen Linkskurve wird es alpin. Die Baumgrenze scheint erreicht. Die Vegetation wird karger.
Der Weg wird zum Pfad. Vereinzelte Wanderer kommen uns entgegen. Es ist schwierig aneinander vorbeizukommen. Ab und zu werde ich überholt. Auch ich kann an einigen vorbei wandern. Gelaufen wird hier nicht mehr.
Irgendwann wird es wieder flacher. Wieder 300 m höher bei km 13 ist die nächste Getränkestation.
Das Gelände ist hochalpin, aber nicht mehr so steil. Manchmal kann man sogar laufen. Leider ist der Weg ziemlich matschig. Wir versuchen nasse Füße zu vermeiden.
Kleine Bäche kommen von rechts und queren unseren Weg. Noch kann man bequem drüber springen.
Doch was ist das? In der Ferne ein Haus. Ich schaue genauer hin. Ja wirklich, das muss die Keschhütte sein. Eine Brücke führt über einen reißenden Gebirgsbach.
Dann geht`s bergauf. Schnell gewinnen wir Höhe. Das hatte ich mir schlimmer vorgestellt. Es geht richtig gut. Ich könnte ewig so weiterlaufen. Von weitem höre ich den Sprecher. Er spricht wohl mit Läufern. Dann bin ich oben. Knappe 2700m hoch, km 15,8.Eine Helferin begrüßt uns Läufer mit Handschlag. Sie versucht etwas über den Zustand jedes Einzelnen herauszufinden. Bei mir hat sie nichts auszusetzen. Ich fühl mich auch nach 2:48 Std Laufzeit topfit. An der Verpflegungsstelle teilt eine andere Helferin orangene Regenmäntel mit Sponsorenaufdruck „Migros“ aus. Tatsächlich ist es hier oben ungemütlich kalt. Ich aber hab ja die Winterjacke und einen Buff für die Ohren. Ein paar von den Alpinbrötli in die Tasche, etwas Salz in den Isotee. Wo gehts weiter? Ah – auf der anderen Seite, vorbei am Fotografen. Hier pfeift ein eisiger Wind.
An der Flanke des Berges geht es entlang, leicht bergab. Ich versuche zu laufen, aber ich stolpere dauernd. Hier gehen alle Läufer in einer Schlange und es ist eng. Also lieber auch gehen. Der Weg führt leicht bergab.
Jetzt fängt es an zu regnen. Zuerst leicht, dann stärker. Meine Jacke wird nass. Meine Beine sind kalt. Der Wind kühlt mich langsam aus. Ich versuche mich mit laufen aufzuwärmen und gleichzeitig im Windschatten der Vorauslaufenden zu bleiben. Um zusätzlichen Energieverlust zu vermeiden, kaue ich beim Laufen auf kleinen Stücken Alpinbrötli. Das sind Hefeteigstücke mit Trockenfrüchten. Bei der nächsten Verpflegungsstelle werden nochmals Regenmäntel verteilt.
Ich hole mir einen und mit klammen Figern gelingt es mir die Druckknöpfe zu schließen. Ich bin gerettet.Eine Karawane von orangenen „Migros-Zwergen“ bahnt sich den Weg durch Wind und Regen.
Der Regen lässt allmählich nach. Dafür wird der Weg aber immer schlammiger.Dann – das km 20 Schild ist erreicht.
Man kann weit ins Tal sehen. Der Weg ist jetzt flach. In weiter Ferne sieht man orangene Gestalten einen Berghang hinaufgehen. Es geht um eine Ecke und wir stehen vor einem wunderschönen Bergsee.
Unser Weg führt um den See herum. Nun können wir auch den vollen Weg nach oben einsehen. Das muss der Sertigpass sein. Super – wenn wir da oben sind, haben wir das Schlimmste hinter uns.Der Weg hinauf ist gut zu gehen. Ein paar höhere Absätze sind zwar eine Herausforderung für die Oberschenkel. Mir geht es aber immer noch erstaunlich gut. Einige ziehen ihre Regenmäntel aus. So warm finde ich es hier nicht.
Kurz bevor wir die Passhöhe erreichen, sehen wir den Hubschrauber. Eigentlich ist er immer zu hören gewesen, aber jetzt kann man ihn auch von nahem sehen.
Oben erwartet uns wieder eine Verpflegungsstelle, und der höchste Punkt des Laufs: 2739 m. Ich bin jetzt 4:13 Std unterwegs. Es gibt warmen Isotee, und Cola.
Wieder eine Fotostelle und hinten runter.
Hier muss ich einen Moment stehen bleiben. Ich hatte befürchtet, dass es vielleicht steil werden würde und jetzt ist es soweit.
Aber wenn die anderen das schaffen, muss das auch bei mir gehen. Also los. Mit vorsichtigen Schritten beginne ich meinen Abstieg. Es ist nicht nur steil, sondern auch extrem steinig. Bloß nicht hinfallen!
Da kommt ein Schneefeld. Ich muss ein Foto machen. Ein Japaner hält ebenfalls an und macht Bilder.
Der Weg wird noch schlimmer. Er scheint nur noch aus riesigen Steinen zu bestehen.
Man balanciert von einem zum anderen. Dass es nebelig ist, kann ich nur am Rande wahrnehmen.
Endlich liegt das steinige Stück hinter mir. Ich kann das Tal sehen. Jetzt kann mir nichts mehr passieren.
Es fängt zwar wieder zu regnen an und der Wind ist eisig, aber der Regenmantel hält das super ab. Ein leichter Druck im Kopf liegt sicher an der Höhe und muss ja jetzt mit jedem Meter besser werden.
Langsam kommt das Tal näher. Irgendwas stimmt mit meinem Magen nicht. Bei jedem Schritt wird mir übler. Ich muss gehen, obwohl man eigentlich locker rennen könnte. Der Kopf wird auch nicht besser.
Natürlich kommen jetzt auch noch Knieschmerzen – rechts – normalerweise hab ich Knie immer links! Also, die steilen Stücke zu gehen ist ja o.k. (wegen des Knies) aber auch flache Stücke, das geht gar nicht. Ich muss aber, weil mein Magen sofort Alarm gibt. Also gehe ich seitlich auf dem Weg, damit die anderen Läufer leichter überholen können.
Das Tal schleicht unendlich langsam näher. Oder ist es umgekehrt.
Beim Fotografieren frieren mir die Hände ein. Meine Schuhe sind nass, meine Beine und Füße kalt. Das raschelnde Geräusch meiner Regenkapuze zehrt an meinen Nerven. Aber ein nasser Kopf ist auch nicht schön. So ziehen sich die Kilometer unendlich hin.
Der Weg wird breiter, eine Kuhherde wird gemolken. Jetzt weiß ich auch wie die Bauern auf der Weide an die Milch kommen.
Rennen geht immer nur kurze Stücke. Mist. Eigentlich wäre das genau mein Ding. Nicht zu steil, nicht zu flach.
Wir werden über eine Weide geleitet. Der Boden ist tief, der Weg ein einziges Schlammbad.
Wer bis jetzt noch trocken war, hat nun keine Chance mehr.Da vorne scheint schon Sertig Dörfli (km 28,3) zu sein. Hier stehen auch hochmotivierte Zuschauer. Da muss ich natürlich laufen. Gott sei Dank hält hier mein Magen.
An den Verpflegungsstellen versuche ich in kleinen Schlücken ein wenig Cola zu trinken.
Auf einem schmalen Wanderpfad geht es an einer bewaldeten Bergflanke entlang. Es geht hoch und runter. Hier werde ich von ganzen Gruppen überholt.
Nach langen Kilometern wird die Sicht endlich frei. In der Ferne sehen wir die Häuser von Clavadel.
Sanft schwingt sich der Weg bergab. Ich gehe in mich. Nanu, ich kann ja ohne Beschwerden wieder laufen. Ich will noch nicht jubeln, aber irgendwie scheint sich mein Magen beruhigt zu haben.
In Clavadel überhole ich einen Läufer der heute seinen ersten Marathon läuft. Alle Achtung – es gibt immer noch Verrücktere als wir.
Wieder auf einem Wanderweg an einer Bergflanke entlang, stehe ich plötzlich vor dem km 40 Schild. Wahnsinn!
Unten kann man schon die Häuser von Davos erahnen. Kurz vorher haben zwei K78 Läufer vor dem km 75 Schild ein Foto gemacht. Wie cool ist das denn? Da jetzt viele gehen, kann ich einige überholen.
Nochmal links den Berg runter. Jetzt die Ehrenrunde durch den Ort. Ich versuche Läufer, beim Überholen zu motivieren. Bei einem K78er gelingt mir das auch. Er läuft nochmal an und kann meinem „Tempo“ folgen. Zusammen laufen wir ins Stadion ein.
Norbert empfängt mich im Ziel. Auch unser Sohn Max ist da. Die letzten Meter laufen wir gemeinsam.
Sieger:
Männer:
Trond Idland (NOR) 1 Platz, 3:21,52 Std
Norbert Fender (GER) 40. Platz AK 50, 5:09,47 Std
Frauen:
Melissa Dawes (USA) 1. Platz 3:56,50 Std
Birgit Fender (GER) 52. Platz AK 45, 7:15,53 Std
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