40. Rennsteiglauf
12.05.2012
Viertel vor 6 Uhr, Marktplatz Eisenach. Noch bevor wir den Marktplatz erreichen, sieht Norbert eine öffentliche Toilette. Keine Schlange – perfekt.
Gestern mussten wir den Platz fluchtartig verlassen. Das traditionelle Kloß-Essen ist etwas ins Wasser gefallen. Am Ende eines brütend heißen Tages entluden sich schwere Gewitter mit sintflutartigen Regenfällen. Da hatten wir aber schon gegessen und auch relativ trocken unsere Pension erreicht.
Wir wollen uns mit Kathi am Brunnen treffen. Dieselbe Idee haben so ungefähr 2000 Läufer. Wir treffen Gerhard, Stevie, Boschler aus Eisenach, Läufer aus Waiblingen und Heilbronn. Von Kathi keine Spur.
Das Fernsehen überträgt aus einem Hubschrauber. Punkt 6 Uhr fällt der Startbogen in sich zusammen.
Trotzdem kommen alle Läufer durch. Die Fußgängerzone von Eisenach ist schon wach. Jede Menge Schlachtenbummler verabschieden die Ultras. Nach dem mittelalterlichen Nikolaitor geht es schon bergauf.
Norbert ist bei mir, obwohl wir gehen. Die meisten anderen Läufer gehen auch. Ungefähr 2200 Läufer sind am Start.
Als wir in einen schmaleren Weg einbiegen, kommt es zum Stau. Zäh geht es weiter. Plötzlich öffnen sich die Wald und Eisenach liegt unter uns.
Wir laufen jetzt nicht mehr so dicht gedrängt, und Norbert verabschiedet sich. Oha, hier ist es ja ganz schön matschig. Die nächsten 70 km bin ich damit beschäftigt Pfützen zu umlaufen, Steinen auszuweichen und Wurzeln zu überspringen. So kann ich die Landschaft nicht wirklich genießen.
Die erste Getränkestelle bei km 6,9 lasse ich noch liegen.
Nanu – das blaue Shirt kenne ich doch. Klar – und den Läufer der drinsteckt auch. Helmut hat mich in Meßstetten schon überholt. Von den nächsten Kilometern bekomme ich nichts mit. Wir unterhalten uns so angeregt, dass mich die zweite Getränkestelle bei km 12,9 total überrascht. Ich misch mir ein Salz in den Tee.
Helmut hab ich jetzt verloren. Da läuft Anke zu mir auf. Die hat mich beim Saaletal Marathon überholt. Nochmal vertiefen wir uns so ins Gespräch, dass ich von der Strecke wieder nichts mitbekomme.
Irgendwie laufen alle im gleichen Trott. Bergauf wird gegangen, bergab und in der Ebene gelaufen. Einzig das Tempo ist unterschiedlich. So kommt es, dass ich Anke jetzt auch verliere.
Durch ein riesiges Banner angekündigt die erste Verpflegungsstation Glasbachwiese km 18. Mensch – 18 km und ich hab davon gar nichts gemerkt.
Und was es hier alles gibt. Äpfel, Bananen, Zitronen, den berühmten Schleim (in den Geschmacksrichtungen Himbeer, Orangen, Heidelbeer oder Natur), Schmalz- und Butterbrote (mit Schnittlauch). Ich entscheide mich für das, mir als Läufernahrung bekannte, Butterbrot, und mach noch Salz drauf, das hier in einer Schüssel dabeisteht.
Trotz der vielen Läufer gibt es kein Gedränge. Ich mach ein Bild von Bernie (leider unscharf) und komme auf einem romantischen Pfad. Dicke Wurzeln reichen quer über den Weg. Zur Sicherheit stehen hier alle 100 m Sanitäter.
In der Vorbereitung auf den Rennsteiglauf gab es immer Bilder auf denen es genau so aussah. Ich dachte, das müsste eine bestimmte Stelle des Weges sein. Aber eigentlich ist die Hälfte der Strecke so beschaffen.
Bergauf suche immer jemanden zum schwätzen. Blöderweise erfahre ich dabei, dass es bei km 25 steil und lang bergauf gehen soll. Es gibt Informationen auf die ich gerne verzichte.
Vorher, bei der Getränkestation bei km 20, stehen Männer, die jede Frau über ihre Rangfolge unterrichten. Ich bin gerade 319te.
Das mit dem Anstieg ist nicht übertrieben; auf den Inselberg geht es über 3 km bergauf. Den Anstieg teile ich mit Connie. Endlich hab ich mal Zeit ausgiebig mit ihr zu quatschen.
Als wir an einem ausgesetzten Felsen vorbei laufen, auf den bereits von anderen Läufern als Aussichtspunkt geklettert wird, steigt sie auch mal schnell aus. Das sind halt die echten Ultras.
Auf dem Inselberg erwartet uns das Km 25 Schild, einige Zuschauer und eine Sendeanlage für UKW und TV. So eine richtige Rundumsicht gibt es nicht. Erst als wir den Gipfel überqueren und auf der anderen Seite runter laufen erschließt sich uns eine tolle Aussicht. Leider bleibt keine Zeit zum schauen. Da vorne sind Treppen.
Oje – das ist steil. Und es wird noch steiler. Leider will es gar nicht aufhören. Meine Knie sagen deutlich, dass ich langsam tun soll.
Zur Entschädigung empfängt uns unten die Verpflegungsstation Grenzwiese km 26. Hier ist Feierstimmung – eine Sprecherin macht gute Laune und zusätzlich zu dem Angebot der vorigen Verpflegungsstation gibt es Wurstbrot und Gürkchen.
Ich bleibe bei Butterbrot mit Salz.
Langsam tun mir die Beine weh. Einmal bin ich schon fast umgeknickt. Ich wollte den Lauf in 10 Stunden schaffen. Noch bin ich im Limit, aber mein Schnitt liegt bei 8.20 Min. Da darf ich nicht langsamer werden.
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Nach einer gefühlten Ewigkeit hören wir Musik und Ansagen. Die Station Ebertswiese ist in Sicht. Die Hälfte der Strecke ist geschafft. Ich hab richtig Hunger. Die Würste sind nicht mein Fall. Mutig versuche ich doch mal den Schleim. Im Becher wird eine rötliche Suppe gereicht. Ein mutiger Schluck. Oh – das schmeckt gar nicht schlecht. Leicht süß. Ich bin ja mal gespannt, was mein Magen dazu sagt.
Gott sei dank geht es gleich wieder bergauf. So kann ich im Gehen verdauen.
Ich überhole die ersten Nordic Walker mit denen wir uns bis Oberhof die Strecke teilen.
Wir erreichen die Marathondistanz -Unspektakulär.
Bei km 45 an der Essensstation „Ausspanne Neuhöfer Wiese“ ist der Schleim recht fest. Das kann ich so nicht trinken. Ich greif mir einen Tee und merke zu spät, dass es Cola ist. Na egal – rein in den Schleim damit. Noch Salz drauf. Wow, das ist ja richtig lecker. Oder bin ich im Dilirium? Nee, mir geht es echt gut, wenn man die Beine mal weglässt. Das wird meine Verpflegung bis zum Schluss.
Jetzt wird es lustig. Es kommt ein schmaler Wanderweg mit riesige Pfützen, mal rechts, mal linkt und natürlich auch in der Mitte. Erschwert wird das ganze durch die bestockten Walker, die halt einen Tick langsamer sind. Das hält wach und die Beine auf Trab.
Nächstes Problem: Es geht bergauf. Der Wald hat sich für den Moment zurückgezogen und die Sonne kommt raus. Bis jetzt war ich froh mit meiner langen Jacke und Hose. Aber es wird binnen Minuten unangenehm warm.
Gut dass wir schnell wieder im Wald sind. Km 50. Wenn ich den Streckenplan richtig im Kopf habe, kommt jetzt keine Steigung mehr. Nur noch ein schlapper Halbmarathon – Juhu.
Bei der Getränkestation bei km 51,3 bekommen wir die Info, dass der Sieger bereits im Ziel ist. Ha – selber Schuld. Der muss das gleiche bezahlen, hat aber viel weniger davon.
Entweder hab ich was falsch gelesen, oder der Streckenplan ist leicht geschönt. Es geht auch die restlichen 20 km immer mal rauf und dann wieder runter.
Bei km 54,5 ist an der Station Grenzadler die Möglichkeit zum Ausstieg. Wer steigt dann hier noch aus? Wir haben das Ziel ja fast. Oh, es gibt Dixies. Soll ich oder soll ich nicht? Sicher ist sicher. Aber wie geht man mit 2 Bechern in der Hand auf die Toilette. Ich bitte eine junge Frau, die Becher zu halten. Wenn ich die jetzt abstelle, bekomme ich sie nie wieder hoch.
Gut, es geht wieder bergauf und ich kann in ruhe trinken. Da ist Stevie. Mit dem bin ich letztes Jahr beim Stromberg Extrem die letzten 10 km gelaufen. Irgendwie passt es heute nicht. Bergab bin ich schneller, bergauf überholt er mich.
Ich hab das Gefühl, dass viele Läufer langsamer werden. Mir geht es jetzt viel besser als bei km 25. Mühelos halte ich den 8:00er Schnitt. Das kann für das Finish in 10 Stunden reichen. Die Sonne ist mal da, dann wird es warm. Aber die Wolken sind glücklicherweise zu stark.
Wir überqueren eine futuristische Brücke über die Bundesstraße. Irgendwo hier erfahre ich, dass wir den höchsten Punkt der Strecke noch vor uns haben. Bei km 61 müsste „Plänckners Aussicht“ mit 973m üN unterhalb des Gipfels des großen Beerbergs erreicht sein. Mein Foto von der Aussicht wird unscharf. Jetzt geht es mal länger bergab.
An der Verpflegungsstelle gibt es Köstritzer Schwarzbier. Wir haben doch noch fast 10 km. Egal, ich bin gut drauf. Ein Bier muss her. Es geht wieder bergab auf einem engen Pfad. Eine Läuferin vor mir hat genau das richtige Tempo. Ich hänge mich dran. Wir überholen Gerhard. Der kämpft mit dem unebenen Boden.
Als der Weg breiter wird, laufe ich auf die Frau vor mir auf und wir kommen ins Gespräch. Das könnte bis ins Ziel so weiter gehen.
Jetzt geht es aber wieder steiler bergab. Ich werde so schnell, dass die Läuferin zurückbleibt. Stevie ruft mir zu: „gib Gas, das wird eine Zeit locker unter 10 Stunden.“ Hoffentlich hat er da nicht zu früh gejubelt. Mein linker Oberschenkel fühlt sich an, als wolle er sich verkrampfen. Also Tempo raus. Trotzdem überhole ich unzählige Läufer. An der letzten Wasserstation hole ich noch ein Bier. Aber ich kann es gar nicht zu Ende trinken, ich will weiter, es geht bergab.
Wo ist eigentlich das km 70 Schild? Hab ich es tatsächlich übersehen? Ich frag im Vorbeilaufen eine Läuferin, die hat es auch nicht gesehen und macht dabei keinen glücklichen Eindruck.
Da vorne ist ein Skilift und man hat einen schönen Ausblick auf einen Ort. Hoffentlich ist das Schmiedefeld. Da kommt doch noch das km 70 Schild.
In Serpentinen geht es bergab. Km 71. Ein Läufer fragt, während ich an ihm vorbei laufe ob es nach 72 km tatsächlich noch 300 Meter bis ins Ziel sind? Soviel ich weiß sind es 72,8 km. Aber soll ich ihm das jetzt wirklich sagen? Ich bleibe diplomatisch.
Da vorne ist ein blaues Zielbanner. Das kann nicht das Ziel sein. Aha -, noch 1086 Meter. Wir sind in Schmiedefeld. An jeder Ecke stehen Zuschauer und feuern mich an. Ich jubele mit. Es geht nochmal bergab. Unten linksrum um die Ecke, ein Tänzchen mit einem Zuschauer, Cheerleader mit blauen Puscheln, eine riesige Zielgerade, gesäumt von jubelnden Menschen, am Horizont hinter dem Ziel eine Wohnwagenburg. Das sind die Eindrücke, während ich die letzten 100 m zurücklege. Die Uhr zeigt 9:55 Std. Ich werde angesagt. -Ziel-
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Norbert ist schon da. Wir beglückwünschen uns gegenseitig. Eine Läuferin spricht mich an Ist das Anke? Ich weiss es nicht mehr. Ich will mich nur hinsetzen.
Zuerst müssen wir die Kleiderbeutel holen. Zur Wiese runter, Jacke anziehen. Es ist kalt. Auf dem kleinen Spielplatz setze ich mich kurz auf ein Gerüst. So – jetzt geht es besser. Wir beschließen ins Zelt zu gehen. Auf das Bier, für das wir einen Gutschein hätten, verzichten wir: zu kalt. Wie durch ein Wunder steuern wir direkt auf den Tisch von Kathi zu. Im Zelt gibt es Brühe, die uns Martin, der Mann von Kathi freundlicherweise holt. Ich hätte keine Kraft gehabt, mich in der Schlange anzustellen.
Wir halten uns dann auch nicht mehr lange auf. Nur das orangenfarbene Finishershirt holen wir natürlich noch. Dann geht es der Nase nach zu den Bussen (1km Entfernung – aber bergab) Der Bus kostet 10 Euro pro Person, fährt aber auch über eine Stunde lang. Mein Gott so weit sind wir gelaufen!
Birgit am Mai 17th 2012 in 2012, Ultraläufe
2 Kommentare zu “40. Rennsteiglauf”
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Kati 2 schrieb am 18 Mai 2012 um 12:15 #
kati war auf dem Dixi 🙂
Thomas schrieb am 21 Mai 2012 um 09:25 #
Schöner Bericht…
Wir haben übrigens zusammen gefrühstückt vor dem Start…:-)
Was sind Eure nächsten Läufe dieses Jahr ?
Viele Grüße aus Riedlingen…Thomas